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Die "DU MUSST" Falle

 

 

"Du musst..." Diese Worte klingen in mir lange nach. Zu lange.

Oder vielleicht besser gesagt: Zu lange, um ignoriert zu werden!

 

Ich saß vor zwei Wochen im Warteraum meiner Frauenärztin.  

Kleine Wechsel Beschwerden ließen mich einen Termin ausmachen. Weder Notwendigkeit noch Dringlichkeit waren für mich ein Thema. Einfach nur abklären.

Meine Einstellung zum Frau sein mit all seinen Auswirkungen hat mich in den letzten Jahren sehr stark geformt und verändert. Ich sehe diese Auswirkungen als normal und bereichernd. Der Kontakt zum Körper, zur Weiblichkeit und zu mir wurde besonders geformt und ich erlebe mich bewusster denn je.

Dennoch ist mir auch klar, dass eine körperliche Routine Untersuchung wichtig und sinnvoll ist.

 

Die Zeit im Warteraum verbrachte ich mit Lesen und dem Studieren der Werbung im Fernseher der Praxis- zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Frauen.

 

Von " Du musst einen Schwangerschaftskurs machen, wenn du schwanger bist... bis zu du musst verhüten, wenn du kein Kind haben willst"

Sehr oft standen die Worte "DU MUSST" im Vordergrund.

Für mich waren die Werbungen kaum interessant und ich ließ mich dadurch weder beirren noch beeinflussen- DACHTE ICH

Die Zeit verging und ich wurde ins Besprechungszimmer der Ärztin gerufen.

Ein leichtes Gespräch über meine kleinen Wechsel Beschwerden war zu Anfangs ein gutes sich Einstimmen.

 

Meine kleinen Wechsel Beschwerden sind leichte Hitzewallungen, die aus meiner Sicht völlig normal sind und ich diesen mit etwas Humor, Einsicht und Reflexion betrachte.

Aus der Sicht meiner Ärztin jedoch ist das größte Problem mein zu früher Wechsel!

 

Sie unterbreitete mir eine Hormontherapie und dass das UNENDLICH wichtig sei, bei Frauen meines Alters.

 

"Sie müssen sich klar sein, was das heißt, wenn Sie zu früh in den Wechsel kommen und Sie nichts tun! Sie müssen besser auf sich acht geben und Ihr Körper braucht diese Hormone!"

Aha, ich muss also.

Folgende Fragen kreierte sich mein Kopf sogleich:

  • Wer stellt das fest, wann der Körper einer Frau in den Wechsel gehen MUSS?
  • Warum wird das Thema Wechsel immer in eine Schublade gesteckt?
  • Warum wird bezweifelt, dass der Körper ganz alleine weiß, wann er sich wechseln möchte?

 

Ich war sehr irritiert und merkte auch, dass ich in keine Schublade gesteckt werden wollte. Emotionen, wie Wut und Ärger kamen in mir hoch. Ich registrierte sie und konnte sie besänftigen.

 

Heute weiß ich, dass ich in die Falle von "DU MUSST" gestiegen bin.

Ich habe die Therapie dankend abgelehnt, dennoch fühle ich immer noch die Machtlosigkeit, die ich meiner Ärztin gegenüber gefühlt habe.

Machtlosigkeit und Ärger sind Emotionen, die sehr eng mit der "DU MUSST" Falle verwoben sind.

Sobald ein "DU MUSST" ausgesprochen wird, wägen wir sehr schnell folgendes ab:

 

  1. in welcher Beziehung stehen wir zu dieser Person
  2. Sind wir von dieser Person abhängig (mental, emotional, körperlich)
  3. Welche Erfahrungen haben wir mit dieser Person schon gemacht
  4. Wie lange kennen wir diese Person schon
  5. Ist diese Person uns über- oder untergeordnet
  6. gibt es seelische, körperliche, emotionale und/oder mentale Konsequenzen

Diese Abwägungen finden in uns in Millisekunden statt. Der körperliche Aspekt ist hier ausgenommen.

Die Reihenfolge kann variabel sein und richtet sich immer  der Situation, der Person und unseren Erfahrungen nach.

Ad 1. In welcher Beziehung stehen wir zu dieser Person.

 

Hier geht es um die Art der Beziehung:

  • familiär
  • freundschaftlich
  • beruflich
  • partnerschaftlich
  • anderes

In der familiären Beziehung läuft ein Programm ab, das ich gerne als "kindliche Prägung" bezeichne. Je näher uns diese Person steht, umso schwieriger ist es aus dem "DU MUSST" aus zusteigen. Viele Verhaltensweisen und Fähigkeiten, Blockaden und Gedankenmuster bilden sich hier zu einem Glaubenssatz Geflecht zusammen.

Gerade in der Familie sind wir emotional und sozial eingebunden und werden mehr oder weniger akzeptiert. Hier aus zusteigen würde in vielen Fällen Folgendes bedeuten:

  • nicht Akzeptanz meines Seins
  • Ignoranz
  • Distanz
  • Stress
  • Missbilligung
  • Ausschluss aus dem Familien System

In der Steinzeit bedeutete das vielfach den Tod.

In der heutigen Zeit bedeutet das keinen Tod mehr, dennoch ist da immer noch eine große Hemmschwelle dazu.

Selbst wenn man aus dem "DU MUSST" ausgestiegen ist, sollte man mit Gegenwind rechnen!

ad 2. Sind wir von dieser Person abhängig

 

Abhängigkeit führt zur Selbstaufgabe und zur Abgabe der Eigenverantwortung. Sind wir von der Person abhängig (z.B.: Partner), kann es ebenso sehr schwer sein, aus zusteigen. Für die Gruppe der Frauen ist das aussteigen beim Partner aus der Falle sehr oft schwierig, da sie in den meisten Fällen finanziell abhängig sind.

Es würde danach bedeuten auf eigenen Beinen zu stehen, und das gestaltet sich unmöglich, in der eigenen Wahrnehmung. Frau möchte auch das Gesicht nicht verlieren, oder zum Gerede werden.

 

Abhängig kann man aber auch von anderen Personen sein, wie z.B.: vom Chef. Ein "DU MUSST" Ausstieg kann den Verlust der Arbeit bedeuten, eine Diskriminierung oder sogar Mobbing.

ad 3. Welche Erfahrungen haben wir mit dieser Person schon gemacht

 

Es macht einen Unterschied, ob wir mit dieser Person schon einige Male aus der "DU MUSST" Falle ausgestiegen sind und gute Erfahrungen , oder ob wir schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Der Mensch ist von seiner Grundeinstellung ein Freude- und Glücks orientiertes Wesen. Er wird natürlich nach Situationen suchen, die einem gut tun und dort auch bleiben.

Sogar das Gehirn sucht nach genau diesen wohligen Situationen.

Haben wir durchaus schlechte Erfahrungen gemacht, wird es uns mit jeder Erfahrung schwerer fallen, aus zusteigen- UNMÖGLICH ist es jedoch NIE.

ad 4. Wie lange kennen wir diese Person schon

 

Eine Person, die wir schon lange kennen, ist uns wichtig- auf irgendeiner Ebene immer.

Mütter und Väter, Freunde und Bekannte gehören auch dazu.

Ad 5. Ist uns diese Person über- oder untergeordnet

 

Hier kommt die Autorität zum Tragen. Autoritätspersonen können sein:

  • Polizisten
  • Lehrer
  • Ärzte
  • Väter
  • Mütter
  • Großeltern

Wer hat sich schon einmal getraut bei einer Kontrolle einem Polizisten zu widersprechen?

ad 6. Gibt es körperliche, seelische oder mentale Konsequenzen

 

In vielen Fällen entscheiden wir uns für das " geringere Übel" und nehmen das "DU MUSST" einfach hin, denn es könnte seelische oder körperliche Konsequenzen bedeuten. Was jedoch unberücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass auch das hinnehmen und aushalten körperlich, seelisch und mental Konsequenzen hat. Ein innerer Konflikt entsteht.

In meiner Geschichte mit der Frauenärztin trafen 2,5 und 6 zu.

Ich war von ihr abhängig, da wir zu Beginn der Untersuchung standen, die mir wichtig war. Ein Aussteigen hätte für mich bedeutet, den Termin sausen zu lassen und womöglich einen neuen Arzt suchen zu müssen. Meine Ärztin war für mich eine Autoritätsperson, die einfach mehr weiß und vermeintlich am längerem Ast sitzt.

Es hätte körperliche Konsequenzen haben können, den Termin abzubrechen. Mental bewegt mich das Thema bis jetzt.

 

So kann ein unscheinbarer Termin einiges auslösen, nicht wahr?

Wie steigt man nun aus dem "DU MUSST" realistisch, achtsam und wertschätzend aus?

Auf der Ebene der Kommunikation

 

ein vehementes NEIN der Person hinzu werfen, hat noch niemandem geholfen. Auch, wenn wir manchmal meinen, das ist das Beste.

Es braucht auch eine Erklärung,  damit uns der andere auch verstehen kann und es nicht mehr zur selben Situation kommt.

Ich kann dazu die Methodik "GFK" Gewaltfreie Kommunikation sehr empfehlen. Wir sprechen unsere Gefühle und Bedürfnisse UND unsere Wünsche aus.

Damit lernen wir uns auch selbst besser kennen, verändern unsere Emotionen und den Umgang mit der anderen Person. Wir werden lösungsorientiert und konfliktfähig.

auf der Ebene der Umwelt

 

Um aus dieser Falle aus zusteigen ist es hilfreich eine neutrale Umgebung zu wählen, um ein lösungsorientiertes Gespräch zu führen. Es spricht sich meist leichter, wenn die Umgebung nicht aufgeladen ist, oder vielleicht auch diese in vergangenen Situationen ungeeignet war. Unterstützende Utensilien, wie z.B.: Kleidungsstücke mit der Lieblingsfarbe oder spezielle Anhänger..., können für den "Aussteiger" eine enorme innere Stärke hervorrufen.

Der Kreativität ist keine Grenze gesetzt.

 

IN der Situation ist es manchmal notwendig, die Position zu verändern. Was meine ich damit?

Vielleicht den Platz verlassen und einen Schritt auf die Seite machen. Es ist unglaublich, wie diese Positionsveränderungen die Konfliktsituation entschärfen kann.

Auf der Ebene des Verhaltens

 

Manchmal ist es wichtig eine andere Körperhaltung einzunehmen. Damit sollte man keinen Eindruck der Überheblichkeit oder von Arroganz wecken. Eine aufrechte Haltung kann schon einiges bewirken.

Übe doch einfach einmal vor Deinem Spiegel, Du wirst überrascht sein, wie Du Dich selbst danach wahrnimmst. 

Auch eine Veränderung des Atem Rhythmus, des Blickes, der Stimme kann vieles entschärfen.

Auf der Ebene der Fähigkeiten

 

Jeder Mensch hat besondere Fähigkeiten. Diese besonderen Fähigkeiten gilt es zu aktivieren und zu benutzen. Wenn jemand z.B.: gut schreiben kann, so ist doch ein Brief eine tolle Möglichkeit, alles von der Seele achtsam zu schreiben.

Fähigkeiten machen jeden Menschen zu einem individuellen  und einzigartigen Wesen. Finde heraus, was Du gut kannst und gestalte damit Deinen "DU MUSST" Ausstieg.

Auf der Ebene der Werte, des Glaubens und der  Identität

 

Mache Dir bewusst, was Dir wirklich wichtig ist.

Mögliche Fragen könnten sein:

  • Wie viel bin ich mir wert?
  • Wie wichtig ist es mir ICH zu sein und ein Stop zu sagen?
  • Wer glaube ich zu sein, wenn ich aussteige?
  • Wer bin ich, wenn ich das "DU MUSST" akzeptiere?

Überlege Dir in einer ruhigen Stunde, was Du gerne über Dich denken möchtest, wenn Du im Sterben liegst?

Wer möchtest du sein? Wie möchtest Du Dich fühlen?

 

Ein Tipp: So ein Glaubenssatz beginnt meistens mit :" Ich bin... Ich darf... Ich kann..."

Und wenn Du den positiven Glaubenssatz noch stärker herausarbeiten möchtest, dann schreibe ihn Dir auf einen Zettel, stecke ihn in Deine Geldtasche oder klebe ihn in Deiner Wohnung dort auf, wo Du am Öftesten hinschaust (WC oder Kühlschrank...)

 

je öfter Du den Zettel liest, desto mehr glaubst Du auch daran.

Auf der Ebene der Zugehörigkeit

 

Hier beginnt die Frage, zu welchen Menschen Du Dich zugehörig fühlst. Wenn Du im "DU MUSST" steckst, gehörst Du sicherlich zu einer großen Gruppe von Menschen.

 

Wenn Du aus dieser Falle aussteigst, bist Du den Aussteigern zugehörig. Diese werden immer mehr und meistens sind sie glücklich damit.

Das würde auch bedeuten, dass Du immer glücklicher werden könntest, achtsamer wirst und liebevoller.

Du kreierst Dir Dein Leben und nimmst es in die Hand. Du wirst Eigenverantwortung übernehmen und Dir mehr und mehr selbst bewusster.

Das klingt doch super oder?

Probiere es einfach einmal aus und hab Geduld mit Dir.

Schließlich kennst Du diese Falle schon sehr lange und es dauert manchmal etwas, sich davon zu trennen. Und selbst, wenn Du immer wieder rein rutschst ist das keine Katastrophe. Jeder liebevolle, achtsame Ausstieg ist an sich schon wunderbar.

 

Vielleicht möchtest Du mich auch daran teilhaben lassen und schreibst mir ein paar Zeilen. Ich freue mich darüber.

 

Herzlichst Deine Ulrike

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